Grauzonen - Rechte jugendliche Lebenswelten

Für Meinungsfreiheit / Gegen »Gutmenschen« 
und »Political Correctness«: 
»Lügenpresse – auf die Fresse«
(Sprechchor von Frei.Wild-Fans, 2013)

Meinungsfreiheit ist eines der zentralen Grund- und Menschenrechte, dass durch Artikel 19 der Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von 1948 geschützt wird. In Deutschland ist die Meinungsfreiheit in Artikel 5 des Grundgesetzes festgehalten:

»Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.«

Dabei erfährt Meinungsfreiheit Einschränkung durch andere Gesetze, wie Artikel 1 des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar«, das Recht auf persönliche Ehre, das Antidiskriminierungsgesetz sowie das Verbot der Volksverhetzung.

Der Ruf nach »Meinungsfreiheit« ist eine zentrale Parole der extremen Rechten und der sogenannten Neuen Rechten. Sie behaupten, dass ihre »Meinungsfreiheit« durch Denk- und Redeverbote eingeschränkt sei. Als besondere Form angeblicher Zensur gilt die »Political Correctness«. Der Begriff Political Correctness entstand in den 1970er Jahren in den USA und bezeichnet das Bemühen um eine diskriminierungsfreie Sprache. Menschen und Medien, die als Vertreter*innen einer Political Correctness ausgemacht werden oder auch nur als Kriti­ker*innen rechter Positionen auftreten, werden von nahezu allen rechten Strömungen wahlweise als »Gutmenschen«, »Moralapostel«, »linke Medienmacht«, »Lügenpresse« oder »Linksfaschisten« diffamiert.

Lügenpresse

Der Slogan »Lügenpresse halt die Fresse« prägt seit Herbst 2014 die Auftritte von PEGIDA und den Hooligans Gegen Salafisten (HoGeSa). In der Parole drückt sich die Überzeugung aus, dass die eigene Meinung eine unumstößliche Wahrheit sei, die keine Gegenposition erlaube. Gerade im Spektrum von PEGIDA verbindet sich die Diffamierung kritischer Medien als »Lügenpresse« häufig mit Verschwörungstheorien (› Größenwahn und Verfolgungswahn). Das gezeigte Motiv wird von extremen Rechten kommerziell vermarktet. Foto: Facebook

Der rechte Ruf nach 
Meinungsfreiheit

In den von uns untersuchten rechten Lebenswelten findet in Hinblick auf »Meinungsfreiheit« ein Aufgreifen der Diskursstrategie der Neuen Rechten statt. Es herrscht dort ein Verständnis von Meinungsfreiheit, das sich zwar auf das Grundgesetz beruft, aber wenig damit zu tun hat. Unter der Berufung auf Meinungsfreiheit nimmt jede*r in Anspruch, immer und überall uneingeschränkt sagen zu können, was er*sie denkt, ohne dafür Verantwortung übernehmen zu müssen und ohne Kritik und Konsequenzen zu erfahren. Darüber wird versucht, das Feld des gesellschaftlich Sagbaren zum Beispiel in Hinblick auf Nationalismus, Rassismus und Sexismus auszuweiten. Es ist eine effektive Form der ausgrenzenden Rede, Kritiker*innen und Betroffene im Namen der Meinungsfreiheit zum Schweigen zu bringen. Der Ruf nach Meinungsfreiheit und gegen Zensur dient allzu offensichtlich dem Zweck der Kritikabwehr. Der Historiker Volker Weiß beschreibt dies in einer Kritik an Thilo Sarrazin:

»Kritik ist (…) ein normaler Bestandteil ernsthafter Debatten und kann nicht mit Zensur gleichgesetzt werden. Das im Fall Sarrazin unterstellte ›Diskursverbot‹ ist eine reine Propagandafloskel. Vielmehr lässt, wer die Gegenargumente für Zensur hält, selbst den Wunsch durchblicken, diese verstummen zu lassen. In der Stilisierung Sarrazins zum Helden des offenen Wortes brach sich augenscheinlich ein autoritäres Bedürfnis Bahn. Hermann L. Gremliza brachte den diesem Geschrei um Sprechverbote innewohnenden Wunsch auf den Punkt: ›Der Ruf nach Meinungsfreiheit ist der Ruf nach Zensur: Es gehört verboten, Sarrazins Rassenkunde zu widersprechen‹. Bestätigt wurde dies schließlich im äußerst rüden Ton, den Autor gegenüber seinen Kritikern anschlug, so dass ihm Beobachter attestierten, er sei selbst nicht diskussionsfähig.« 2

 

Das Feindbild 
»Gutmensch«

Im Oktober 2012 erhielt die Bezeichnung »Gutmensch« einen Popularitätsschub, als Frei.Wild in ihrem Album »Feinde deiner Feinde« den Song »Gutmenschen und Moralapostel« veröffentlichte. Der Song ist eine Reaktion der Band auf die ihnen gegenüber geäußerte Kritik. Er wird eingeleitet mit den Worten:

»Es gibt nur ihre Meinung und sie denken nur schwarz-weiß. Sie bestimmen was gut, was böse ist, sie sind das, worauf ich scheiß’.«

Der Refrain lautet:

»Ich scheiß’ auf Gutmenschen, Moralapostel. Selbsternannt, political correct. Der die Schwachen in die Ecke stellt und dem Rest die Ärsche leckt. Ich scheiß’ auf Gutmenschen, Moralapostel, selbsternannt, sie haben immer Recht.«

Weiter heißt es im Text:

»Sie sind Propheten, glaubt ihnen blind, ihr müsst sie lieben. Zweifler, Hinterfrager sollen jetzt Peitschenhiebe kriegen. Ihre Basis ist ihr Aussehen, ist ihr Glaube, ihre Position, Ermahnen, Ruf beschmutzen ist ihr Job, das ist ihr Lohn. Reines Wasser fließt für sie nur ganz allein.«

Die Band bezichtigt Kriti­ker*in­nen autoritärer Denk- und Verhaltensweisen. Mit dem Vorwurf, diese würden damit ökonomische Vorteile erzielen, wird ihnen eine besonders verwerfliche Motivation unterstellt, ihre Kritik soll darüber zusätzlich diskreditiert werden. Sich selbst stilisieren Frei.Wild zu »Zweiflern« und »Hinterfragern«, deren »Ruf beschmutzt« werde und die wegen ihrer Abweichung von der Political Correctness »Peitschenhiebe kriegen« würden.

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Frei.Wild-Fans demonstrierten nach der Echo-Ausladung der Band im Jahr 2013 in Berlin für »Meinungsfreiheit«. Foto: Apabiz

 

Die Bezeichnung als »Gutmensch« erreichte bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2011 den zweiten Platz. Die Jury führte aus:

»Mit dem Ausdruck Gutmensch wird insbesondere in Internet-Foren das ethische Ideal des ›guten Menschen‹ in hämischer Weise aufgegriffen, um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren. Ähnlich wie der meist ebenfalls in diffamierender Absicht gebrauchte Ausdruck Wutbürger widerspricht der abwertend verwendete Ausdruck Gutmensch Grundprinzipien der Demokratie, zu denen die notwendige Orientierung politischen Handelns an ethischen Prinzipien und das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationalen Diskussionen gehören. Der Ausdruck wird zwar schon seit 20 Jahren in der hier gerügten Weise benutzt. Im Jahr 2011 ist er aber in unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Kontexten einflussreich geworden und hat somit sein Diffamierungspotential als Kampfbegriff gegen Andersdenkende verstärkt entfaltet.« 3

 

Feindbilder 
»Political Correctness« und »Sprachpolizei«

Der Kampf um Gleichwertigkeit ist, vielfach noch immer unterschätzt, auch eine Auseinandersetzung mit der Sprache. Bente Gießelmann vom Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) schreibt:

»Die Verwendung von Sprache ist umkämpft, weil Sprache gesellschaftliche Vorstellungen und Hierarchien ausdrückt und tradiert. Sie transportiert und konserviert negative Assoziationen zu Personen oder Gruppen, Logiken der Ungleichheit und gewaltvolle Denkmuster und schafft damit nicht nur symbolisch ein Klima, in dem Menschen abgewertet werden.« 4

Den Anspruch eines bewussten und diskriminierungsfreien Umgangs mit Sprache, drückt das Schlagwort »Political Correctness« (PC) aus. In Deutschland ist PC seit den 1990er nicht nur von dezidiert Rechten mit dem Vorwurf von Zensur und »Sprechverboten« belegt worden und dient ihnen ­synonym des später hinzugekommenen Wortes »Gutmenschen« zur Diffamierung missliebiger politischer Meinungen. Gegen »Political Correctness« zu sein bildet einen gemeinsamer Nenner von Neonazis, der Neuen Rechten, Konservativen, den »Jungs von der Straße« und vielen Menschen, die sich als Wahrheits-Rebell*innen und »Freigeister« verstehen. So sehr sich diese auch voneinander abgrenzen – sie eint das Bedürfnis, sich den Bevormundungen einer »Sprachpolizei« zu widersetzen.

pc_aufkleber

Seit Anfang der 2000er Jahre gehen Rechte und extrem Rechte kampagnenartig gegen »Political Correctness« vor. Das bekannte Logo dieser Kampagnen ist das »Verbotsschild« von PC mit der Inschrift »Political Correctness Nein Danke!«, das von der rechtskonservativen Zeitung Junge Freiheit populär gemacht wurde. Dieses originär rechte Symbol findet sich auf dem Plakat für ein Oi-Konzert mit rechten und unpolitischen Bands 2009 in Mecklenburg-Vorpommern – neben der Zeichnung des Hakenkreuzes und Hammer und Sichel, die in Mülleimer geworfen werden.

pc oikonzert

 

Bei manchen Gruppen von Punks, Fußballfans oder HipHop­per*innen wird die Kritik an ihrer Sprache reflexhaft als »intellektuelles Gerede« und als Einmischung »von außen« abgelehnt. Dies führt mitunter zur trotzigen Weigerung, eigenes (Sprach-)Verhalten in Frage zu stellen und zu ändern – und bisweilen dazu, dass der demonstrative Weitergebrauch inkriminierter Worte als Distinktions- und Provokations-Gestus aufgebaut wird. Nach dem Motto: Jetzt erst recht.

Die Oi-Band Bierpatrioten fantasiert in ihrem Song »Asi oder Millionär« über ein hedonistisches Leben in luxuriösen Verhältnissen. Wenn sie reimen:

»Und morgen Abend, das ist fein, da steig ich in mein Flugzeug rein und fliege zu meinem Negerkuß im Whirlpool auf Mauritius«

, geht es bei der Verwendung des verpönten Wortes »Neger« primär um die Provokation der von ihnen angefeindeten »Pseudointellektuellen«: Hauptsache ist, jemand regt sich darüber auf. Die nun unvermeidliche Kritik bestätigt die Band im Selbstbild des Unbequemen und Rebellischen. Dieses bewusste Agieren gegen Political Correctness steht in engem Zusammenhang mit Anti-Intellektualismus.

Provokationskultur und Anti-Moral

So bleiben – und sei es, weil sich Personen und Gruppen als unbeugsam inszenieren und pro­vozieren wollen – Menschen weiterhin diskriminierenden Beleidigungen ausgesetzt. Die »von der Straße« wollen sich von Studierten nichts vorschreiben lassen und Fußballfans überlegen sich, welche Schmähungen die gegnerischen Fans am nächsten Spieltag wohl am Stärksten treffen.

Beim Pokalspiel SV Preußen Münster gegen SV Werder Bremen am 19. August 2012 zeigten Münsteraner Ultras zunächst ein Transparent mit der Aufschrift »Gegen Sexismus und Homophobie«. Kurz darauf hielten sie gekoppelt an dieses Transparent ein zweites mit der Aufschrift »Ihr schwulen Fotzen!« hoch.

Gerichtet war die Aussage gegen Bremer Fans, die sich zu diesem Zeitpunkt in Kampagnen gegen Sexismus und Homosexuellenfeindlichkeit engagierten. Gegen sie wurde nicht nur von rechten Fankreisen der Vorwurf erhoben, durch ihr Engagement gegen Diskriminierung Politik in den »unpolitischen Raum« des Stadions zu tragen. Mit provokanter Anti-Moral und kalkulierten diskriminierenden Aussagen demonstrierten die Münsteraner Ultras ihre Verachtung für das politische Engagement der Bremer Fans – und handelten damit gleichwohl politisch.

Die Transparent-Aktion wurde von einer größeren Gruppe Ultras mitgetragen, andere sahen darin eine spaßige und gelungene Provokation des Bremer Anhangs.

Jedoch: Fanport, die Fan-Anlaufstelle des SV Preußen Münster, wendete sich im Nachhinein mit deutlichen Worten gegen diese Aktion:

»Für uns als Fanprojekt, das sich u.a. die Förderung demokratischer Einstellungen und die Ablehnung von Diskriminierungen jeglicher Art – auch aufgrund des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung –, auf die Fahne geschrieben hat, versteht sich eine Distanzierung von dieser besonderen Art der Provokationskultur von selbst – und ist darüber hinaus eine Herzensangelegenheit! Für uns würde zum jetzigen Zeitpunkt Schweigen tatsächlich Zustimmung zu etwas bedeuten, was wir entschieden ablehnen.« 5

münsterTranspi

Provokative Antimoral: Fans des SC Preußen Münster beim DFB-Pokalspiel gegen SV Werder Bremen am 19. August 2012.

 

1 Der Sprechchor von Frei.Wild-Fans ist auf einer DVD der »Gold Edition“ von »Feinde deiner Feinde“ zu hören
2 Volker Weiß, zitiert nach: Andreas Kemper, Sarrazins Correctness, Münster 2014
3 Jury Unwort des Jahres, Unwort des Jahres 2011, Gutmenschen, http://www.unwortdesjahres.net/index.php?
4 Bente Gießelmann: Political Correctness, in: Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe, Schwalbach/Ts. 2016
 5 Fanport: Gegen Sexismus und Homophobie!, 22.08.2012, http://www.fanport-muenster.de/index/artikel-home/gegen-sexismus-und-homophobie.html

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